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Auch Kandidaten-Assessments werden digitaler

Rahel Knecht
Rahel Knecht

Die Digitalisierung hält Einzug in Personalabteilungen – auch bei der Prüfung von Stellenbewerbungen. Was bedeutet das für Assessments?

FOODAKTUELL: Wie verläuft ein modernes Assessment?

RAHEL KNECHT: Bevor ein Kandidat/eine Kandidatin zu uns ins Assessment kommt, hat er/sie sich schon beim Unternehmen (unserem Auftraggeber) beworben und kam in die engere Wahl. Allenfalls lud es die Favoriten bereits zu einem Gespräch und Betriebsbesichtigung ein. Bei uns im Assessment durchlaufen Kandidaten in der Regel mehrere digitale und analoge diagnostische Verfahren wie interaktive Simulationen zum Umgang mit heiklen Situationen, z. B. die Bewältigung einer Panne mit Produkterückruf. Ferner PC-gestützte Fähigkeits- und Persönlichkeitstests (meistens Multiple Choice). Ausserdem ein Interview, bei dem er/sie Fragen mündlich beantwortet. Wichtig ist ein Methodenmix mit Interviews, elektronischen Tests und Fragebogen, Rollenspielen und Management-Fallstudien mit anschliessenden Präsentationen. Die Auftraggeber schätzen diese Simulationen von komplexen und unsicheren Führungssituationen sehr, da sie Aufschluss über das Handlungspotenzial geben und nicht nur Wissen abrufen.

Wir arbeiten im Assessment einen halben bis ganzen Tag mit wissenschaftlich erprobten Methoden und überprüfen objektiv messbare Kriterien. Wir legen besonderes Augenmerk auf die Analyse des Potenzials, d. h. der Fähigkeit der Kandidierenden, mit Komplexität und Unsicherheit umzugehen. Die Informationen darüber geben uns wichtige Hinweise darauf, inwieweit es ihnen gelingen wird, in der Zielfunktion nicht nur heute erfolgreich zu sein, sondern auch zukünftigen Herausforderungen gewachsen zu sein. Welches genau diese Herausforderungen sind, erarbeiten wir vorgängig mit dem Auftraggeber und stellen die entsprechenden Übungen zusammen.

Den Abschluss bildet ein Gutachten, in dem wir die gewonnenen Erkenntnisse zusammenfassen und eine Kandidaten-Empfehlung abgeben. Diese besprechen wir mit dem Auftraggeber. Bevor jemand eingestellt wird, gibt es meistens ein persönliches Kennenlernen, sei dies vor Ort oder zumindest in einem ersten Schritt per Skype.

Das Vorgehen ist vergleichbar mit der Produktion einer Fleischplatte: Der Auftraggeber bestellt die Platte und wir erarbeiten mit ihm gemeinsam die optimale Zusammensetzung, die seinem Bedürfnis entspricht. Dies bestimmt, welche Komponenten wir verwenden. So erhält er eine massgeschneiderte Platte, d. h. den Assessmentbericht. Dieser wird nach dem Auswahlentscheid auch den Kandidierenden übermittelt, und wir teilen ihnen unsere Erkenntnisse in einem Feedbackgespräch mit.

Für welche Art von Stellen oder Kandidaten sind klassische Jobinterviews besser?

Wir wenden in unseren Assessments biografische Interviews an, in denen die Kandidierenden anhand von konkreten Beispielen aus ihrem Berufsalltag Hinweise zu Fähigkeiten und Kompetenzen geben. Diese Interviews zu Lebenslauf und Berufserfahrung sind besonders aussagekräftig, wenn sie bereits über einige Jahre Berufserfahrung verfügen und so aus dem Vollen schöpfen können. Bei weniger erfahrenen Kandidierenden eignen sich eher Simulationsverfahren oder Fallstudien.

Gibt es rein digitale Assessments, bei denen ein Roboter das letzte Wort hat?

Wir stützen uns auf wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach Maschinen Menschen nicht vollständig ersetzen können. Darum sind wir überzeugt, dass Assessments nur dann einen Mehrwert bieten, wenn gewisse Teile weiterhin von Mensch zu Mensch durchgeführt werden. Technische und digitale Hilfsmittel setzen wir bewusst dort ein, wo sie den Menschen erseTzen oder unterstützen können, beispielsweise in der Prozessabwicklung, bei Testverfahren oder Selbsteinschätzungen von Kompetenzen. Bei internationalen Mandaten, bei denen zeitnahe Vor-Ort-Termine oft schwer zu organisieren und teuer sind, nutzen wir vielfach die Möglichkeit von Skype-Assessments. Innerhalb der Schweiz kommt dies eher selten vor. Die Videos werden nicht aufgezeichnet.

Welche Vorteile hat das digitale Assessment?

Elektronisch gestützte Verfahren wie Tests und Selbsteinschätzungen ermöglichen eine zeit- und ortsunabhängige Durchführung und sind meistens weniger zeitaufwändig und daher auch kostengünstiger. Sie haben jedoch den Nachteil, dass die Situation nicht kontrolliert werden kann, d. h. die Kandidierenden können sich Hilfe bei der Bearbeitung von Tests oder Fragebogen holen. Daher führen wir Leistungstests nur unter kontrollierten Bedingungen durch, was uns aussagekräftige Beurteilungen ermöglicht. Unserer Meinung nach sind digitale Verfahren dort sinnvoll, wo angesichts grosser Mengen schnell eine erste Triagierung erfolgen muss. Für Kandidierende hat ein digitales Assessment den Vorteil, dass es zeit- und ortsunabhängig durchgeführt werden kann. Grundsätzlich bietet ein Assessment, unabhängig von der Durchführungsart und vom Anstellungsentscheid, die Möglichkeit eines detaillierten individuellen Feedbacks.

Und welche Risiken hat es?

Nebst der Gewährleistung des Datenschutzes orten wir ein grosses Risiko beim Fehlen der persönlichen Ansprache. Empathie ist bis jetzt ein Faktor, der uns Menschen von Maschinen unterscheidet. Oft hören wir von Kandidierenden, dass sie dank dem angenehmen Klima im Assessment ihr Potenzial zeigen konnten. Stellen Sie sich vor, ein Roboter begrüsst Sie freundlich zum Assessment und führt Sie durch alle Übungen am Computer oder er ist Ihr Gesprächspartner im Rollenspiel. Eine komische Vorstellung!

Welche Faktoren erfasst das digitale Assessment besser?

Mit digitalen Verfahren können teilweise digitale Kompetenzen, Intelligenzwerte oder Selbst- und Fremdeinschätzungen bestimmter Kompetenzen abgeholt werden. Überall dort also, wo eine hohe Standardisierung erforderlich ist und Vergleiche mit anderen Stichproben aussagekräftig sind (z. B. die Erfassung des IQ). Diese Werte zeigen jedoch nicht, wie die Kompetenzen im Alltag gelebt werden. Eine hochintelligente Person ist evtl. im Alltag nicht in der Lage, kooperativ im Team zu arbeiten, Konflikte konstruktiv zu lösen oder als Führungskraft Mitarbeitende einfühlsam zu fördern und zu führen. Genau diese Übersetzung des Wissens in konkrete Handlungen wollen wir mit Simulationen überprüfen.

Bei klassischen Interviews neigen gewisse Kandidaten zum Bluffen, andere sind zu scheu, um ihre Talente adäquat darzustellen. Passiert das auch digital?

In unseren Assessments ermitteln wir alle, mit dem Auftraggeber im Anforderungsprofil festgelegten erfolgsrelevanten Faktoren in mehreren Übungen, um genau solchen Fehleinschätzungen entgegenzuwirken. Zudem können wir in der Face-to-Face-Situation spontan reagieren und wo nötig Rückfragen stellen. Wir sind überzeugt, dass eine gute Software einen Teil dieser Beurteilungsfehler erkennen kann, doch wegen der mangelnden Empathie von technischen Systemen wird der Rechner hier dem Menschen in den nächsten Jahren nicht ebenbürtig sein.

Sind Zeugnisse, Referenzen und Porträtfotos heute noch wichtig?

Die Erfahrung der Cedac AG zeigt, dass diese an Bedeutung verlieren, je umfangreicher der berufliche Werdegang ist. Nach dem Schulabschluss kann mittels dieser Unterlagen eine Differenzierung erfolgen. Nach mehreren Berufsjahren wird der Erfahrungshintergrund immer zentraler und Zeugnisse und Referenzen verlieren an Aussagekraft.

Werten Sie Kandidatenauftritte in sozialen Medien oder Karriereportalen aus?

Die Cedac AG hat den Grundsatz, vor dem Assessment keine Informationen über die Kandidierenden zu sammeln. Wir lesen keine Lebensläufe und recherchieren sie auch nicht im Internet. Wir wissen, dass nicht alle Assessmentunternehmungen so arbeiten. Es gibt einige, die Lebensläufe vorgängig studieren. Wir möchten den Kandidierenden jedoch so neutral und unbefangen wie möglich begegnen.

Welche Tipps geben Sie Kandidaten, um Assessments gut zu absolvieren?

Authentisch sein und das Assessment als Chance zur persönlichen Weiterentwicklung nutzen!

 

Der klassische Ablauf eines Anstellungsprozesses mit Assessment

  • Ausschreibung der Stelle durch den Arbeitgeber.
  • Bewerbungen der Interessenten beim Arbeitgeber.
  • Der Arbeitgeber sichtet die Bewerbungen und macht eine erste Triage.
  • Einladen der ausgewählten Bewerber zu einem ersten Interview, um sich kennenzulernen.
  • Die Bewerber der engeren Wahl werden i. d. R. zu einem zweiten Interview eingeladen.
  • Die zwei bis drei Top-Favoriten dürfen ein Assessment machen, bei dem ihre Selbst-, Sozial- und Führungskompetenzen sowie ihr Potenzial geprüft werden.
  • Die Assessmentunternehmung liefert dem Arbeitgeber einen Bericht und spricht eine Empfehlung aus.
  • Der Arbeitgeber wählt einen Bewerber als zukünftigen Mitarbeiter aus.
  • Eventuell gibt es Vertragsverhandlungen bevor eine effektive Anstellung erfolgt.

 

Veröffentlicht im Oktober 2018 in foodaktuell

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